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Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil verkündet am 23.05.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 198/05
Rechtsgebiete: KSchG
Vorschriften:
KSchG § 1 V |
LANDESARBEITSGERICHT NIEDERSACHSEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2005 durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kiel, die ehrenamtliche Richterin Frau Hoffmann-Merten, den ehrenamtlichen Richter Herrn Arends für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 12.01.2005 - 1 Ca 397/04 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Mit seiner am 14.06.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger die Unwirksamkeit der von der Beklagten am 25.05.2004 ausgesprochenen ordentlichen betriebsbedingten Kündigung geltend.
Der 1942 geborene Kläger arbeitete bei der Beklagten, die im Kündigungszeitpunkt mindestens 70 Arbeitnehmer beschäftigte, seit dem 18.08.1970 als Betonbauvorarbeiter zu einem monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 2.865,67 €. Er ist verheiratet und hat keine unterhaltsberechtigten Kinder.
Im Mai 2004 beschloss die Beklagte, insgesamt 35 Arbeitsplätze abzubauen, davon 2 der ursprünglich 8 Arbeitsplätze für Betonbauvorarbeiter. Dazu vereinbarte sie unter dem 14.05.2004 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, der eine Namensliste mit den von der Betriebsänderung betroffenen und zu kündigenden Arbeitnehmer enthielt. Auf der Liste stand der Name des Klägers, während unter anderem folgende Arbeitnehmer als Betonbauvorarbeiter weiterbeschäftigt werden sollten:
K..., geb. am 11.02.1952, verheiratet, 1 Kind, Eintritt: 30.09.1974 W... S..., geb. am 11.04.1949, verheiratet, Eintritt: 26.04.1977
Wegen der Personaldaten der weiteren Betonbauvorarbeiter wird auf S. 4 des Schriftsatzes der Beklagten vom 27.07.2004 Bezug genommen.
Neben dem Interessenausgleich vereinbarten die Betriebsparteien einen Sozialplan, der die Überleitung der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vorsah.
Mit Schreiben vom 17.05.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Am 20.05.2004 erklärte der Betriebsrat, er habe gegen die Kündigung keine Bedenken, woraufhin die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.05.2004 zum 31.12.2004 kündigte. Am 13.05.2004 hatte sie eine Massenentlassung bei der Bundesagentur für Arbeit angezeigt.
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, die Kündigung sei wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam und nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes sozial ungerechtfertigt, wobei er auch die getroffene Sozialauswahl gerügt hat. Insbesondere sei er im Verhältnis zu den vergleichbaren Mitarbeitern K... und W... S... sozial schutzwürdiger. Das rentennahe Lebensalter dürfe sich dabei nicht zu seinem Nachteil auswirken, da er auf dem Arbeitsmarkt faktisch nicht mehr zu vermitteln sei, durch den Arbeitsplatzverlust aber Einkommensverluste sowie Renteneinbußen hinzunehmen habe, selbst wenn er bis zum Erreichen des Rentenalters Arbeitslosengeld beziehen könne.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 25.05.2004 rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die durchgeführte Sozialauswahl als sozial gerechtfertigt verteidigt. Der Kläger habe im Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis das 62. Lebensjahr vollendet und für 32 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld. Während der Arbeitslosigkeit würden Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt, sodass er bei Inanspruchnahme seiner Altersrente im Oktober 2007 kaum Einbußen zu vergewärtigen habe. Trotz dieser Einbußen befinde sich der Kläger gegenüber den Kollegen K... und W... S... in einer weitaus besseren Situation, weil er die Zeit zwischen Ende des Arbeitsverhältnisses und Eintritt in den Ruhestand durch Bezug von Arbeitslosengeld überbrücken könne, während seine Kollegen diese Möglichkeit nicht besäßen, obwohl auch sie praktisch kaum eine Chance hätten, wieder einen Arbeitsplatz zu finden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 12.01.2005 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien habe durch die fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 25.04.2004 unter Einhaltung der Kündigungsfrist nach § 12 Ziff. 1.2 des allgemeinverbindlichen BRTV-Bau zum 31.12.2004 geendet. Die Kündigung sei weder nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 17.05.2004 angehört habe, noch sei sie nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt sei. Vielmehr sei die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstünden, bedingt. Dies werde nach § 1 Abs. 5 KSchG vermutet, weil die Betriebsparteien am 14.05.2005 einen Interessenausgleich nach § 111 BetrVG geschlossen hätten. Der nach dieser Vorschrift darlegungs- und beweisverpflichtete Kläger habe nicht ausreichend vorgetragen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 KSchG nicht erfüllt seien.
Auch die soziale Auswahl, die bei einem Interessenausgleich mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden könne, sei nicht zu beanstanden. Die Vorgaben des § 1 Abs. 3 KSchG seien beachtet, die die Beklagte auf 8 Betonvorarbeiter erstreckt habe, von denen Herr B... und Herr W... als Betriebsratsmitglieder mit besonderem Kündigungsschutz von vornherein nicht zu berücksichtigen seien. Auch habe die Beklagte weder Herrn R... noch Herrn M... S... kündigen müssen, da deren Weiterbeschäftigung nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG im berechtigten betrieblichen Interesse liege. Beide Arbeitnehmer bereiteten sich auf die Polierausbildung vor und würden mit dieser Ausbildung in 3 bis 4 Jahren benötigt, wenn die derzeit beschäftigten Poliere rentenbedingt ausschieden. Die soziale Auswahl sei deshalb nur zwischen Herrn K... und Herrn W... S... vorzunehmen, die zwar 7 bzw. 10 Jahre jünger seien und mit 20 bzw. 17 Jahren eine um 4 bzw. um 7 Jahre geringere Betriebszugehörigkeit aufwiesen. Dabei handele es sich jedoch um keine so gravierende Abweichung von den Sozialdaten des Klägers, das von einer groben Fehlerhaftigkeit gesprochen werden könne, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Kläger, selbst wenn er keinen Arbeitsplatz wiederfinden würde, 32 Monate Arbeitslosengeld beziehen könnte, also bis zu einem Zeitpunkt 2 Monate vor Erreichen des 65. Lebensjahrs versorgt sei. Somit treffe ihn die Kündigung und darauf folgende Arbeitslosigkeit weniger hart als die beiden vergleichbaren Arbeitnehmer, bei denen es gleichfalls ungewiss sei, ob sie wieder Arbeit fänden oder über einen längeren Zeitraum arbeitslos blieben.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen, die dem Kläger am 12.01.2005 zugestellt worden ist. Mit seiner Berufung vom 27.01.2005, die er am 14.03.2005 begründet hat, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 10.03.2005 weiter, auf dessen Inhalt ergänzend verwiesen wird. Der Kläger wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und sieht die Sozialauswahl im Hinblick auf die Arbeitnehmer K... und W... S... weiter als grob fehlerhaft im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG an. Angesichts einer Betriebszugehörigkeit von über 34 Jahren habe dem Kläger nicht gekündigt werden dürfen. Ein höheres Lebensalter dürfe wegen der tatsächlichen wirtschaftlichen Einbußen selbst bei rentennahen Jahrgängen grundsätzlich nicht zu Lasten eines Arbeitnehmers berücksichtigt werden; jedenfalls seien die wirtschaftlichen Nachteile angesichts der außergewöhnlich langen Betriebszugehörigkeit des Klägers bei der Abwägung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.
Der Kläger meint ferner, die soziale Auswahl sei nicht einheitlich durchgeführt worden. Auch eine Namensliste müsse sich auf Kriterien stützen, die die getroffene Entscheidung trügen, entweder in Form eines Punkteschemas oder der besonderen Betonung einzelner sozialer Gesichtspunkte. Die Beklagte habe zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Arbeitnehmern aber keine einheitlichen Kriterien herangezogen. Während sie beim Kläger vorgetragen habe, er könne aufgrund seines Alters bald in Rente gehen und sei daher nicht so schutzwürdig wie die Arbeitnehmer K... und W... S..., so habe sie bei anderen Arbeitnehmern genau umgekehrt argumentiert und die älteren Arbeitnehmer als schutzwürdiger angesehen. Diese willkürliche Handhabung liefe den Grundsätzen der sozialen Auswahl entgegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 12.01.2005 - 2 Ca 397/04 abzuändern und festzustellen, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers mit der Beklagten vom 25.05.2004 rechtsunwirksam ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 15.04.2005, auf den ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Berufung ist unbegründet.
I.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage des Klägers mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen, die sich das Berufungsgericht zu eigen macht, und deshalb die Begründung der Entscheidung auf das Berufungsvorbringen auf folgende ergänzende Feststellungen beschränkt (§ 69 Abs. 3 ArbGG) :
1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger ist nicht nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil die soziale Auswahl zumindest keinen groben Auswahlfehler im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG enthält. Die Kündigung vom 25.05.2005 ist deshalb nicht nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.
a) Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflicht und die Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Sind bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so kann nach § 1 Abs. 5 KSchG die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Beschränkung der Prüfungsmöglichkeiten bezieht sich neben der Bildung der auswahlrelevanten Gruppe vor allem auf die Gewichtung der Sozialindikatoren sowie auf die in § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG genannten Gründe für eine Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer im betrieblichen Interesse. Grob fehlerhaft ist die soziale Auswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 und 5 KSchG, wenn die Gewichtung der Sozialdaten jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BT-Drucksache 15/1204 S. 12 unter Berufung auf BAG 02.12.1999 - 2 AZR 757/98 - NZA 2000, 531), sodass sich über die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl nicht mehr ernsthaft diskutieren lässt (vgl. APS/Kiel, 2. Aufl., § 1 KSchG RdNr. 785 K; Willemsen/Annuß NJW 2004, 177, 181). Schon nach § 1 Abs. 5 KSchG in der Fassung des arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes 1996 entsprach es der Rechtsprechung, keinem der Sozialkriterien Priorität einzuräumen (BAG 02.12.1999 a.a.O. unter II 3 b). Die Betriebsparteien können deshalb das Schwergewicht für die soziale Auswahl auf einen der sozialen Gesichtspunkte legen, solange andere der Sozialdaten dadurch nicht völlig unzureichend ins Gewicht fallen. Das BAG hat zuletzt im Urteil vom 02.06.2005 (2 AZR 480/04 - Pressemitteilung Nr. 36/05) bestätigt, dass keinem der vier sozialen Auswahlkriterien ein überwiegendes Gewicht zukommt. Dies gilt schon für die nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmende "ausreichende Sozialauswahl und erst recht für den erweiterten Beurteilungsspielraum der Betriebsparteien nach § 1 Abs. 5 KSchG.
Das Lebensalter stellt einen maßgeblichen Gesichtspunkt bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers dar. Die Bedeutung dieses Auswahlkriteriums steigt bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation kontinuierlich an, weil es für ältere Arbeitnehmer zunehmend schwierig ist, auf dem Arbeitsmarkt eine neue Beschäftigung zu finden, und fällt mit zeitlicher Nähe zum Renteneintritt wieder ab, vorausgesetzt, der Arbeitnehmer ist für den Zwischenzeitraum durch Altersteilzeit oder den Bezug von Arbeitslosengeld sowie durch die Inanspruchnahme von Leistungen aus der gesetzlichen Renten- oder Arbeitslosenversicherung nahtlos versorgt (vgl. APS/Kiel § 1 KSchG Rd-Nr. 713; Preis RdA 1999, 311, 316; vgl. ferner LAG Niedersachsen 28.05.2004 - 10 Sa 2180/03 - unter II. 1. a cc der Gründe: Berücksichtigung des Lebensalters nur bis zum 55. Lebensjahr). Sieht der Arbeitgeber das Lebensalter nur als einen zu berücksichtigenden sozialen Gesichtspunkt an und gewichtet er diesen Faktor bezogen auf die Arbeitsmarktchancen sowie im Hinblick auf sonstige Versorgungsleistungen fallbezogen, liegt darin keine Diskriminierung wegen des Alters jüngerer oder älterer Arbeitnehmer. Die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall muss allerdings gewahrt sein (vgl. Wiedermann Thüsing NZA 2002, 1240, 1241).
Die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf grobe Fehlerhaftigkeit setzt stets voraus, dass der Arbeitgeber das Vorliegen einer Betriebsänderung, das wirksame Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste, die namentliche Bezeichnung des gekündigten Arbeitnehmers und die erst im Anschluss ausgesprochene Kündigung darlegt und beweist (APS/Kiel § 1 KSchG Rd-Nr. 5, 785 m).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die von den Betriebsparteien getrofffene Sozialauswahl nicht zu beanstanden, die nach § 1 Abs. 5 KSchG keinen groben Auswahlfehler enthält. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG sind ausweislich des zur Akte gereichten Interessenausgleichs vom 14.05.2004 erfüllt, der eine Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen im Sinne des § 111 S. 3 Ziff. 1 BetrVG vorsieht, nämlich die Entlassung von 35 der ursprünglich etwa 70 Arbeitnehmer. Der Interessenausgleich ist von beiden Betriebsparteien unterzeichnet und enthält eine Namensliste, in der der Kläger namentlich aufgeführt ist. Die Kündigung ist zur Umsetzung dieses Interessenausgleichs am 25.05.2004 ausgesprochen worden. Damit greift die Vermutungsregel des § 1 Abs. 5 KSchG zugunsten der Beklagten ein, mit der Folge, dass die Kündigung nur bei grob fehlerhaften Auswahlentscheidungen unwirksam ist.
Die Entscheidung der Betriebsparteien, den Kläger im Verhältnis zu den Arbeitnehmern K... und W... S... als weniger sozial schutzbedürftig anzusehen, ist, wie das Arbeitsgericht überzeugend ausgeführt hat, nicht grob fehlerhaft, weil die im Verhältnis dieser Mitarbeiter relevanten Abwägungsgesichtspunkte des Lebensalters, der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltsverpflichtungen nicht evident unausgewogen berücksichtigt worden sind (das Merkmal der Schwerbehinderung liegt bei keinem dieser Arbeitnehmer vor). Es ist vom Beurteilungsermessen der Betriebsparteien umfasst, bei der Abwägung dem Umstand besonderes Gewicht zu verleihen, dass der Kläger mit einem Lebensalter von 62 Jahren bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses und seiner langen Berufstätigkeit die Möglichkeit hat, die Zeit bis zum Renteneintritt mit 65 Jahren durch den Übergang in eine Beschäftigungsförderungs-/Qualifizierungsgesellschaft und anschließendem Bezug von Arbeitslosengeld zu überbrücken. Zwar muss er dabei Einbußen im Nettoeinkommen sowie bei der Rentenhöhe hinnehmen. Trotz dieses Umstands ist er aber weniger schutzbedürftig als die Kollegen K... und W... S..., die mit einem Lebensalter von 52 bzw. von 55 im Kündigungszeitpunkt - wie der Kläger - objektiv nur verhältnismäßig geringe Aussichten haben, auf dem angespannten Arbeitsmarkt in der Bauindustrie mit körperlich sehr belastender Tätigkeit eine Anschlussbeschäftigung zu finden.
Das bedeutet indes nicht, dass die Mitarbeiter zur Ausübung ihres Berufs körperlich nicht mehr in der Lage wären und die Begründung eines Anschlussarbeitsvertrages ausgeschlossen wäre. Deshalb und wegen der hinzunehmenden wirtschaftlichen Nachteile bei einer Überbrückung mit Bezug von Arbeitslosengeld stellt das Lebensalter auch keine absolute Grenze dar, bei der die anderen Sozialfaktoren keine Rolle in der Abwägung mehr spielen. Allerdings weist der Kläger mit einer Beschäftigung seit dem 18.08.1970 im Verhältnis zu Herrn K..., der seit dem 30.09.1974 bei der Beklagten arbeitet, und Herrn W... S..., der seit dem 26.04.1977 beschäftigt ist, keine so erheblich längere Betriebszugehörigkeit auf, dass sich die Auswahlentscheidung damit als evident unausgewogen darstellt. Bei allen drei Mitarbeitern handelt es sich um solche mit einer langen Betriebszugehörigkeit. Auch unter Berücksichtigung der Untehaltspflichten ergibt sich kein anderes Ergebnis. Diese sind im Verhältnis des Klägers zu Herrn W... S... gleich, wohingegen der Arbeitnehmer K... aufgrund der Unterhaltspflicht für ein Kind zusätzlich sozial schutzbedürftig ist.
Das Gericht kann schließlich nicht nachvollziehen, dass die von den Betriebsparteien getroffene soziale Auswahl inkonsequent, widersprüchlich oder gar willkürlich durchgeführt worden ist. Vielmehr hat die Beklagte nicht nur im Fall des Klägers, sondern in allen vergleichbaren Sachverhalten, in denen Arbeitnehmer mit 62 Jahren die Zeit bis zum Renteneintritt durch Bezug von Arbeitslosengeld überbrücken können, geprüft, ob diesen Arbeitnehmern zu kündigen ist, und zwar zugunsten solcher Arbeitnehmer, die aufgrund ihres Lebensalters mit einer längeren Arbeitslosigkeit rechnen müssen und beträchtlich größere Einkommens- bzw. Versorgungslücken zu erwarten haben. Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat auch keinen konkreten Fall vorgetragen, bei dem die Beklagte diese Überlegung nicht angestellt hat oder zu einem anderen Ergebnis gekommen ist.
2. Weitere Unwirksamkeitsgründe bestehen nicht, insbesondere ist die Kündigung nicht wegen fehlender Massenentlassungsanzeige unwirksam, wobei dahinstehen kann, welche Auswirkungen sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 - Rs C 188/03 - für die Wirksamkeit der Kündigung generell ergeben. Denn die Beklagte hat mit Schreiben vom 13.05.2004 gegenüber dem Arbeitsamt eine Massenentlassunganzeige erstattet, also vor Ausspruch der Kündigung am 25.05.2004. Die Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat waren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen.
3. Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. I ZPO zurückzuweisen.
Es bestehen keine Gründe zur Zulassung der Revision.
Ende der Entscheidung
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